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Der Gesamtarbeitsvertrag Swisscom aus Frauensicht: Dieser GAV setzt neue Standards

Der neue Gesamtarbeitsvertrag Swisscom tritt am 1. Januar 2013 in Kraft. Bemerkenswert an diesem GAV ist, dass syndicom in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit nicht nur viele allgemeine Verbesserungen, sondern auch wichtige Fortschritte hin zu einer Modernisierung und Harmonisierung des schwierigen Verhältnisses von Beruf und Familie erreicht hat.

 

Die Babyboomer-Generation kommt ins Alter und geht im nächsten Jahrzehnt in Pension. Sie hat noch einem Bild der Gesellschaft nachgelebt, in dem die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben nicht zentral war. So war auch ihre Arbeitswelt ausgestaltet: ausgerichtet auf Vollzeitstellen mit hohen Arbeitszeiten und guten Karrierechancen. Daneben die Familien, denen sich hauptsächlich die Frauen widmeten: Kinder, die mehrheitlich von Müttern und Grossmüttern betreut und erzogen wurden; Frauen, die Teilzeit arbeiteten und ihre Laufbahnchancen voll dem Familienglück unterordneten.


Ganz anders die Generation danach. In den letzten Jahren rückte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ins Zentrum der gesellschaftlichen Diskussion. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass es heute zur Sicherung eines Familienhaushalts oft zwei Einkommen braucht, aber auch darauf, dass die jüngere Generation eine partnerschaftliche Aufgabenteilung zumindest bei der Erziehung der Kinder anstrebt. Frauen sind gut ausgebildet, oft sogar besser als Männer. Sie möchten sich nach der Geburt eines Kindes nicht mehr einfach ins Private zurückziehen. Weil in den nächsten zehn Jahren sehr viele gut qualifizierte FacharbeiterInnen in Pension gehen, zeichnet sich ausserdem bereits heute ein massiver Fachkräftemangel ab.


Dies sind die Gründe, weshalb die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Privatzeit in der wirtschaftspolitischen Debatte sehr viel bedeutender wurde. Die Wirtschaft will, dass vor allem Mütter ihr Arbeitsvolumen steigern. Sie kann nicht mehr während Jahren auf gut ausgebildete weibliche Arbeitskräfte verzichten.

Swisscom neu im Lohngleichheitsdialog

Der neue Gesamtarbeitsvertrag Swisscom nimmt die gesellschaftliche Entwicklung auf und kann in vielen Punkten als vorbildlich bezeichnet werden.
Mit dem GAV verpflichtet sich die Swisscom zur Förderung der Chancengleichheit und Gleichstellung. Unter anderem ist eine angemessene Vertretung der Geschlechter, der Sprachen und Kulturen in Gremien sowie Projekt- und Arbeitsteams vorgesehen. Eine Quote ist es also, die hier ganz bescheiden Eingang in den Gesamtarbeitsvertrag gefunden hat.


Der runde Tisch «Gleichstellung» wird jährlich mit allen durchgeführt, die mit dem Thema befasst sind. Hier sollen die Probleme evaluiert und Lösungen diskutiert werden. Dieser runde Tisch gibt den Gewerkschaften regelmäs?sig die Möglichkeit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu thematisieren und bei konkreten Problemstellungen pragmatische Lösungsvorschläge einzubringen.


Dass es die Swisscom ernst meint mit der Gleichstellung, hat sie auch mit dem Beitritt zum Lohngleichheitsdialog bewiesen. Die Lohngleichheit wird denn auch ausdrücklich im GAV festgeschrieben. In diesem Bereich wird es die Aufgabe unserer Gewerkschaft sein, eine regelmässige Überprüfung zu verlangen und auch die Frage der Anstellungsdiskriminierung einzubringen. Die Einführung des allgemeinen Mindestlohnes von 52?000 Franken ist ein wichtiger symbolischer Schritt, welcher die Mindestlohn-Initiative des SGB stärkt.

Langzeitkonto: Bezahltes Time-out ansparen
Der neue GAV Swisscom sieht aber auch ganz handfeste Verbesserungen im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor: Der Mutterschaftsurlaub wird auf 17 Wochen ausgedehnt. Gleichzeitig wird der zehntägige Vaterschaftsurlaub, welcher schon im vorherigen GAV bestanden hatte, weitergeführt. Aus Sicht junger Familien hätten wir uns hier noch mutigere Schritte gewünscht, aber das Erreichte gehört zum Besten, was die GAV-Landschaft in der Schweiz im Moment zu bieten hat.

 

Mit der Einführung eines Langzeit-Arbeitszeitkontos können die Mitarbeitenden der Swisscom künftig ihre Zeitüberschüsse aus der gleitenden Arbeitszeit auf ein Zeitkonto übertragen lassen, um damit bezahlte Zeit für ein bestimmtes Ziel anzusparen. So kann zum Beispiel der Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub verlängert werden. Es besteht über das Langzeitkonto aber auch die Möglichkeit, nach dem Mutterschaftsurlaub ohne Lohnkürzung ein reduziertes Arbeitspensum aufzunehmen. Solche Lösungen sind für den raschen Wiedereinstieg von erwerbstätigen Müttern entscheidend. Leider kennt der GAV Swisscom anders als zum Beispiel der GAV Post nicht das Recht, den Mutterschaftsurlaub mit einem unbezahlten Urlaub zu verlängern. Hier wird lediglich die Möglichkeit eingeräumt, dies zu tun, sofern es die betrieblichen Verhältnisse erlauben. Beim unbezahlten Urlaub übernimmt die Swisscom jedoch während dreier Monate die BVG-Beiträge.


Sehr zu begrüssen ist auch die Einführung eines zehntägigen Adoptionsurlaubs. Dieser ist ein kleines Entgegenkommen, das Familien mit Adoptionskindern den Einstieg in die neue Familienform erleichtern dürfte.

Erhalt der flexiblen 40-Stunden-Woche

Über das ganze Erwerbsleben gesehen, ist die Zeit, die Eltern für die intensive Betreuung eines Kindes aufwenden müssen, sehr kurz. Trotzdem zwingen die Arbeitszeiten in der Schweiz viele Eltern – und hier natürlich nach wie vor meistens Mütter –, ihre Erwerbsarbeit ganz aufzugeben oder massiv zu reduzieren, wenn die Kinder klein sind. Das hat einerseits damit zu tun, dass im Bereich der ausserfamiliären Betreuung immer noch viel zu wenige Angebote bestehen; diese sind auch sehr teuer. Andererseits ist die Problematik aber auch auf die überdurchschnittlich hohen Arbeitszeiten in unserem Land zurückzuführen. Aus diesem Grund ist zu begrüssen, dass der GAV Swisscom weiterhin an der 40-Stunden-Woche festhält.

 

Ein wichtiger Punkt bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch die Möglichkeit, die eigenen Arbeitszeiten relativ flexibel zu gestalten. Swisscom sieht Betriebszeiten zwischen 6 Uhr und 20 Uhr vor, während denen die einzelnen Mitarbeitenden die Arbeitszeiten mehr oder weniger frei einteilen können. Arbeitseinsätze dürfen neu vier Stunden nicht mehr unterschreiten. Diese Regelung verhindert eine unsinnige Stückelung der Dienste, welche viele nicht nutzbare Pausen mit sich bringt und die Arbeitstage unnötig verlängert. Für die Organisation einer Familie ist dies ein wichtiger Fortschritt. Alle Swiss?com-Mitarbeitenden haben zudem mindestens fünf Wochen Ferien, was vor allem für Familien mit schulpflichtigen Kindern wichtig ist.

Endlich: Gleichstellung der Teilzeitarbeit

Teilzeitangestellte dürfen nicht regelmässig über einen längeren Zeitraum zu Mehrarbeit angehalten werden. Erstmals werden die Teilzeitmitarbeitenden zudem den Vollzeitangestellten bei der Überstundenregelung gleichgestellt. Ab der fünften Stunde pro Woche, welche über dem ordentlichen Arbeitspensum liegt, wird ein Zuschlag von 25 Prozent – also der Überzeitzuschlag – ausbezahlt. Diese Regelung ist ein Meilenstein in der Gleichstellung von Teilzeitarbeit und ein wirklich zentraler Entwicklungspunkt in der Gesamtarbeitsvertrags-Politik der Schweiz. Es ist zu hoffen, dass diese Regelung in anderen Gesamtarbeitsverträgen und in der Gesetzgebung Eingang findet.


Die meisten Familien, bei denen beide Elternteile erwerbstätig sind, haben für den Normalfall ihren Alltag bestens organisiert. Mit kleinen Kindern tritt dieser Normalfall nur einfach relativ selten ein. Kleinkinder sind immer wieder krank, auch der Kollegiums- oder der Teamtag in der Schule oder der Kindertagesstätte macht oftmals einen Strich durch die Rechnung. Solche Ereignisse lösen Stress aus und stellen viele Familien vor fast unlösbare Probleme. Mit der Möglichkeit, bei plötzlicher Erkrankung eines Kindes bis zu zwei Tage pro Ereignis zu Hause bleiben zu können, schafft der GAV Swisscom in einem wichtigen Bereich Erleichterung. Dass alleinerziehende Eltern zusätzlich bis zu fünf freie Tage im Jahr für unaufschiebbare Angelegenheiten beziehen können, darf ebenfalls als fortschrittlich bezeichnet werden.


Die Möglichkeit von Home-Office-Arbeit wird im neuen GAV Swisscom ebenfalls erstmals aufgenommen. Diese Heimarbeit ist freiwillig und bedarf der Bewilligung durch die Vorgesetzten. Trotzdem kann dies zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Familienpflichten beitragen.

Gewerkschaften helfen, die Gesellschaft zu gestalten

Der neue GAV Swisscom ist also auch unter diesem Aspekt vorbildlich. Es bleibt zu hoffen, dass dieser GAV eine Vorbildfunktion für andere Gesamtarbeitsverträge, aber auch für die Gesetzgebung übernehmen wird. Die Verbesserungen gehen in der Tat auf die Forderungen von syndicom zurück, was zeigt, dass Gewerkschaften durchaus eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung gesellschaftlicher Veränderungen übernehmen können.

Bernadette Häfliger Berger, Leiterin Gleichstellung und Recht


Die wichtigsten allgemeinen Verbesserungen im GAV Swisscom auf einen Blick

  • Verbesserter Kündigungsschutz für aktive Gewerkschaftsmitglieder,
  • Ausbau der Gewerkschaftsrechte und mehr Mitbestimmung im Betrieb,
  • Zuschläge für unregelmässige Nacht- und Sonntagsarbeit von 75 Prozent,
  • Lohnfortzahlung zu 100 Prozent während 730 Krankheitstagen,
  • Pflicht zur Reintegration von leistungsverminderten Mitarbeitenden,
  • 2 Tage mehr Ferien für über 50-Jährige (ab 2015 auch für über 45-Jährige),
  • Anspruch auf Altersteilzeit ab dem 58. Altersjahr,
  • Anspruch auf einen Tag Öko- oder Sozialeinsatz.


Lernende unterstehen dem Gesamtarbeitsvertrag

Ab dem 1. August 2013 unterstehen alle neuen Auszubildenden der Swisscom ebenfalls dem Gesamtarbeitsvertrag. Sie profitieren somit von den guten Arbeitsbedingungen und den meisten Verbesserungen (Ausnahme Mindestlohn). Alle Lernenden haben zudem Anspruch auf sechs Wochen Ferien. Zudem räumt die Swisscom der Weiterbeschäftigung nach der Lehre eine hohe Priorität ein. (bhb)

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