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Die Sache mit der Teilzeit

Wer muss eigentlich Erwerbsarbeit und Familie unter einen Hut bringen? Frauen, Männer und die Sozialversicherung waren Thema der Zürcher Tagung der IG Frauen.


Am 22. September hat die IG Frauen bei syndicom im Zürcher Technopark die Tagung «Über Arbeitszeiten diskutieren!» abgehalten. Für das «Frauenproblem», Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, ist typischerweise Teilzeitarbeit die Lösung. Keine perfekte Lösung jedoch: wenig oder keine Karrieremöglichkeiten, erschwerter Zugang zur Weiterbildung, ungenügende soziale Sicherheit … Deshalb muss man das Thema «Organisation der Arbeitszeit» unverzüglich und klar ansprechen, und die Gewerkschaft muss der Ort sein, wo die Frage entschlossen angegangen wird: Dies betonte Gerda Kern-Weibel, Präsidentin der IG Frauen, in ihrer Eröffnungsrede an der Tagung.

«2011 arbeiteten 57,8% der erwerbstätigen Frauen in der Schweiz Teilzeit, damit steht die Schweiz unter den europäischen Ländern nach den Niederlanden an zweiter Stelle», erklärte Christina Klenner, Ökonomin und Leiterin der Frauen- und Geschlechterforschung der Hans-Böckler-Stiftung in Bonn, in ihrem Eingangsreferat. Dieselben Statistiken zeigten, dass Frauen, auch in der Schweiz, weiterhin den Löwenanteil der Kinderbetreuung übernehmen und dass die Familien, in denen beide Elternteile nach der Geburt eines Kindes weiterhin Vollzeit arbeiten, lediglich 11% ausmachen. Dieser Prozentsatz hat sich seit 1992 nicht geändert: ein Zeichen, dass wir so nicht weiterkommen. Beim heute üblichen Modell arbeitet der Mann Vollzeit und die Frau Teilzeit. Einige bezeichnen dies als «modernen Patriarchismus», der die klassische Rollenverteilung stärkt.

Laut Christina Klenner braucht es ein neues Konzept für die Organisation der Arbeitszeit. Ein Konzept, das bei Paaren, bei denen beide erwerbstätig sind, auch beiden gerecht wird. «Hier hilft ein Paradigmenwechsel: Wir müssen wegkommen von der Vorstellung eines Arbeitnehmers, einer Arbeitnehmerin, der oder die völlig frei von Betreuungspflichten ist – nicht nur, was Kinder angeht, sondern auch Alte. Sowohl die Arbeitgeber als auch die Politik müssen hin zur vollumfänglichen Anerkennung, dass solche Betreuungsarbeit notwendig ist.» Für Christina Klenner gibt es Handlungsbedarf auf mehreren Baustellen: Wir müssen die Debatte über eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung anstossen, Arbeitszeitmodelle vorschlagen, die an die verschiedenen Lebensphasen angepasst sind, langfristige Arbeitszeitkonten propagieren …

In die gleiche Richtung ging die Referentin Caroline Knupfer, Politologin und Leiterin Sozialpolitik des Waadtländer Gesundheits- und Sozialdepartements, laut der sich auch die Sozialversicherungen den Veränderungen in der Gesellschaft anpassen müssen: «Jedem Mann und jeder Frau ist Verantwortung in der Betreuungsarbeit zuzugestehen und damit auch die nötigen Ressourcen und das Recht, dieser Arbeit nachzugehen, und zwar auf eine sozial abgesicherte Weise.»

Danuscia Tschudi, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin der Dienststelle Gender der Fachhochschule der italienischen Schweiz (SUPSI), wies dagegen auf die bestehenden Vorurteile in Bezug auf Teilzeitarbeit hin: «Ein Klassiker ist die Vorstellung, dass eine Teilzeitbeschäftigte sich mehr als Mutter sieht, mit dem Kopf nicht bei der Sache ist, im Betrieb weniger engagiert oder weniger motiviert ist. Dieses Vorurteil wird in Statistiken oft widerlegt.» Die Tessiner Forscherin unterstrich, dass solche Vorurteile bei Einstellungsgesprächen dann zum Tragen kämen: «Es ist wichtig, dass Betriebe, die auf Gender Diversity achten, ihre HR-Verantwortlichen und Kaderleute schulen, sodass die Auswahl von neuen Mitarbeitenden klar, transparent und professionell erfolgt.» Auch sie sieht die Notwendigkeit einer Veränderung: «Man sollte nicht die Mutterschaft, sondern die Elternschaft in den Vordergrund stellen und die Vereinbarkeit von bezahlter und unbezahlter Arbeit als Problem der Gesellschaft und nicht der Frauen betrachten.» Wie sagt man so schön: Wir haben viele Eisen im Feuer, und unsere Gewerkschaft wird am Kongress auf das Thema zurückkommen.

Isabella Visetti, freie Journalistin und Redaktorin «Cooperazione» (Coop-Zeitung)

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