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Führt Selbständigkeit ins Prekariat?

Die IG Freischaffende von syndicom führt am 20. April den 1. Selbständigen-Kongress in Bern durch. syndicom sucht Antworten zu den Problemen, die sich in einer unsicheren Arbeitswelt stellen. 

 

In den letzten Jahren hat die Zahl der Arbeitnehmenden, die nicht mehr in einem festen Vertragsverhältnis arbeiten, ununterbrochen zugenommen: durch Outsourcing, Vertragsunsicherheit und Scheinselbständigkeit. Da in den verschiedenen Branchen unserer Gewerkschaft immer mehr Menschen von dieser Situation betroffen sind, nimmt sich syndicom der Frage an, wie sie als Gewerkschaft auf die veränderte Arbeitswelt reagieren kann.

In der Schweiz waren im Jahr 2011 insgesamt rund 4,7 Millionen Menschen erwerbstätig. Die Zahl der Selbständigen nimmt seit den 1990er-Jahren zu und erreicht heute etwa 660 000 Menschen, ungefähr 14 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Fast 55 Prozent dieser Personen sind Solo-Selbständige, führen also einen Betrieb ohne weitere Mitarbeitende. Die Situation der Selbständigerwerbenden in der Schweiz stellt sich sehr uneinheitlich dar. Einerseits gibt es diejenigen, die ihre Selbständigkeit aus Überzeugung und freiwillig gewählt haben, dabei unter Umständen auch sehr gut verdienen. Daneben gibt es jene, welche sich aus der Not heraus für die Selbständigkeit entscheiden, zum Beispiel, weil sie nach einem Jobverlust keine neue Stelle mehr finden, oder weil sie nach der Ausbildung den Einstieg ins Berufsleben nicht anders schaffen. Wieder andere haben ein sogenanntes Mischeinkommen, gehen also neben einer Arbeit als fest Angestellte noch einer selbständigen Tätigkeit nach.

Auch die Begriffe, die in diesem Bereich verwendet werden, sind verschieden: Selbständige, Freelancer, Freie oder Freischaffende. Genaue Abgrenzungen sind schwierig, deshalb wird in diesem Artikel ausschliesslich von Selbständigen im Sinne eines Oberbegriffs gesprochen. Immer aber gilt: Die finanzielle Situation von Selbständigen in der Schweiz ist sehr oft prekär.

Viele Gewerkschaften haben sich bisher fast nur hinsichtlich der Scheinselbständigen-Problematik mit diesem Thema befasst. Bereits bei comedia waren jedoch die Freien JournalistInnen mit einer Kommission und mit speziellen Dienstleistungen (wie der für alle offenen Pensions­kasse Freelance) repräsentiert. Darauf baut die vor zwei Jahren gegründete syndicom-IG Freischaffende auf, die sich an Selbständige in allen Branchen richtet. Denn ein nicht unerheblicher Teil der syndicom-Mitglieder ist selbständig.

syndicom macht sich für Freischaffende stark

Die IG Freischaffende setzt sich intensiv mit gewerkschaftlichen Haltungen zu diesem gesellschaftlichen Phänomen auseinander. Eine zentrale Forderung lautet, dass jede Selbständigkeit auf Freiwilligkeit beruhen muss und den Berufstätigen nicht durch Outsourcing und Abbau aufgezwungen werden darf.

Es scheint uns aber auch eine zentrale gewerkschaftliche Aufgabe zu sein, die Situation der Selbständigen zu verbessern. Gerade in den Sozialversicherungen braucht es genügend Absicherung, weil sonst die Abwärtsspirale bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und besonders im Alter nicht aufzuhalten ist.

Wichtig: Auch Selbständige müssen in den Gesamtarbeitsverträgen geschützt werden – nicht zuletzt, weil sie andernfalls vielfach als Druckmittel gegen Festangestellte instrumentalisiert werden.

Im gesetzlichen Rahmen sind Preisabsprachen grundsätzlich verboten. Gleichwohl brauchen Selbständige Schutz und die Vereinbarung fairer, angemessener Honorare. Besonders zu schaffen macht vielen Selbständigen auch der Umstand, dass sie keine Vertragssicherheit geniessen. Sie werden als Puffer bei Kapazitätsengpassen eingesetzt und leben oft in Einkommens-Unsicherheit. Nicht einmal die Planung der näheren Zukunft ist möglich, schon gar nicht die Absicherung eines würdigen und sorgenfreien Alters.

Am 1. Selbständigen-Kongress diskutiert syndicom nun am 20. April solche und weitere Fragen zusammen mit interessanten Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland. Der Kongress soll mit der Verabschiedung einer «Charta für Selbständige» abge­rundet werden. Anmeldungen für den Kongress werden unter freischaffende[at]syndicom.ch entgegengenommen.

 

Bernadette Häfliger Berger ist Leiterin Gleichstellung und Recht; damit vertritt sie auch die IG Freischaffende.

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