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Konferenz der IG Migration: «Wir alle sind die Schweiz»

Am 13. Mai 2017 führte die Interessengruppe Migration in Biel die MigrantInnen Konferenz durch. Augustin Mukamba, Co-Präsident der Migrationskommission, und Patrizia Mordini, Leiterin Gleichstellung und Mitglied der Geschäftsleitung, eröffneten die Konferenz am Samstagmorgen.

© František Matouš

 

Die drei Schwerpunkte bildeten den Rechtsrutsch in der Schweizer Politik und dessen Auswirkungen, die Einbürgerungsoffensive und die  Digitalisierung des Arbeitsmarkts und dessen Einfluss auf Arbeitnehmerinnen, die einen Migrationshintergrund haben.




Sibel Arslan: Von Dersim zum Parlament

In ihren aufschlussreichen Ausführungen zeichnete Sibel Arslan, Nationalrätin und Juristin, ihre eigene Karrieren Geschichte nach - von Dersim, einer kleinen Stadt in Anatolien nach Bern ins Parlament: «Ich bin als Flüchtlingskind hier in die Schweiz gekommen, und jetzt bin ich eine Vertreterin der Flüchtlingskinder geworden.» Dafür habe sie jeder Stufe ihrer Karriere immer mehr kämpfen müssen als ihre schweizerischen Kolleginnen und Kollegen.



In ihrer Schulzeit habe sie als Übersetzerin für Flüchtlingsfrauen gearbeitet. Dort habe sie rasch gemerkt, warum die Behörden, die Ärztin usw. ungehalten sind mit diesen Menschen - weil sie keine genügenden Deutschkenntnisse hätten. Dort habe sie sich schon gefragt, was Schweizerinnen und Schweizer meinten: wenn man kein Deutsch oder nur gebrochenes Deutsch spreche, werde man dann als dumm angesehen? Auch deswegen habe sich Sibel Arslan entschieden, Jura zu studieren.

Nach dem Studium wurde Sibel Arslan in den Basler Grossen Rat gewählt. Diese Geschichte erzählt sie mit Humor: «Ich heisse Sibel Arslan und möchte für den Grossen Rat kandidieren». Diesen Satz hat die damals 24-jährige Jurastudentin gesagt, als sie vor neun Jahren das erste Mal das Parteibüro der BastA!, Basels starke Alternative, betrat. Wenn die Nationalrätin heute diese Geschichte erzählt, leuchten ihre Augen schelmisch. Und sie lacht ihr herzhaftes Lachen, fast so, als staune sie selbst über ihre damalige Tat.

Der Sekretär der BastA! sei zuerst etwas erstaunt gewesen, beschreibt Sibel Arslan die Situation. Doch er habe sich schnell erholt, das selbstbewusste Auftreten der jungen Frau gefiel ihm. Ein zusätzlicher Bonus war: Die Anwärterin auf einen Grossratssitz hatte einen Migrationshintergrund. Ein paar Wochen später wurde Sibel Arslan auf Anhieb in das baselstädtische Parlament gewählt.

Bei den Schweizer Parlamentswahlen 2015 wurde sie in den Nationalrat gewählt. Sie ist als Nationalrätin in der Außenpolitischen Kommission und der Kommission für Rechtsfragen aktiv. Sibel hat den Migrantinnen empfohlen, immer visuell zu bleiben, sich vernetzen, aktiv werden und Präsenz sein.


Halua Pinto de Magalhâes: Migration und Rassismus im «Sonderfall Schweiz»
Halua Pinto de Magalhâes hat in seinem Referat die Geschichte der Migration und des Rassismus in der Schweiz erläutert. Die Schweiz sei schon immer ein Einwanderungsland gewesen. So bereits zur Zeit von Napoleon bei der Gründung der Helvetischen Republik, als man viele Menschen zum Beitritt bewegt hatte.

Später nach 1945 bis in die 1960er Jahren kam die grosse Welle der Einwanderung von Italienern, die während des Wirtschaftsaufschwungs als Arbeitskräfte sehr gesucht waren. Jedoch mussten bei der Rezession ab 1973 die Zuwanderer einen Teil der Auswirkungen auffangen: viele Saisonnier- und Jahresaufenthaltsbewilligungen wurden nicht erneuert.


Die «Angst vor Überfremdung» kulminierte zu Beginn der 70er in der Schwarzenbach-Initiative, die Massnahmen zur Begrenzung der Ausländerzahl forderte. Die Initiative wurde vom Schweizer Volk mit 54 Prozent abgelehnt. In der neueren Geschichte wurde in der Ausländerthematik häufig die Asyl- und Einwanderungspolitik vermischt.

Zudem spielten die Medien eine wichtige Rolle. Dies wurde am Beispiel des 1. Mai 2002 veranschaulicht: die Krawalle in Zürich wurden von politischen Funktionstragenden fälschlicherweise den Secondos zugeschoben und die Medien übernahmen dieses Wording. Daraufhin wurden die Second@s Schweiz gegründet, wo Sibel, Halua wie auch Patrizia aktiv waren. Auch die Plakatekampagnen der SVP waren ein Thema.
Der Berner Stadtrat und Dr. Chemiker Pinto de Magalhâes betonte abschließend, «die Schweiz ist einen Kolonialland ohne Kolonie».

syndicom startet Einbürgerungsoffensive

Patrizia Mordini stellte in ihrem Referat die Einbürgerungsoffensive des SGB und syndicom und die wichtigsten Änderungen zur Einbürgerung im Bürgerrechtsgesetz ab 2018 vor. Sie erläuterte: «Gegenwärtig könnten sich rund 900 000 Menschen in der Schweiz einbürgern lassen, die schon über 10 Jahre in der Schweiz leben – davon 180 000 hier Geborene und 120 000 als Kinder/Jugendliche in die Schweiz Gekommene. Sie alle prägen die Schweizer Gesellschaft mit und sind Teil davon. » Im neuen Gesetz gebe es viele Änderungen, welche eine Einbürgerung erschweren. Deswegen starteten syndicom und SGB (Schweizerischer Gewerkschaftsbund) die Einbürgerungoffensive.



Was wird sich ab 01.01.2018 ändern? Patrizia Mordini hat die neue Änderungen so geschildert, neben dem kleinen Fortschritt der Reduktion der Wohnsitzfristen – viele Verschlechterungen:

  • Man muss die C-Bewilligung haben (während heute auch F- oder B-Bewilligung bei Erfüllen der weiteren Kriterien genügen),
  • man muss hohe Sprachkenntnisse im Niveau B1 in Wort und Schrift nachweisen (bislang genügen je nach Kanton mündliche Kenntnisse),
  • es gelten schwammige Integrationskriterien (Prüfung),
  • Familien werden nicht mehr ein gemeinsames Gesuch einreichen können, sondern alle Erwachsene müssen dies einzeln tun. Gegenwärtig können sich Partner von Erwachsenen, die alle Bedingungen erfüllen, in bestimmten Fällen mit dem gleichen Gesuch einbürgern.
  • Neu wird verlangt, dass man drei Jahre vor Gesuchseinreichung keine Sozialhilfe bezogen hat (aktuell: zum Zeitpunkt der Gesuchseingabe darf man keine Sozialhilfe beziehen),
  • weitere Voraussetzungen betreffen die Straffälligkeit: ab 2018 werden alle Verurteilungen bis drei Jahre zurück betrachtet, während aktuell allein diejenigen einbezogen werden, die bei Einreichung im Strafregister eingetragen sind.


Patrizia forderte alle auf, viel Werbung zu machen, damit Migrantinnen und Migranten bis Ende diesen Jahres ihr Einbürgerungsgesuch einreichen. Auch können sich Interessierte via syndicom Website melden, wenn sie sich für die Einbürgerung interessieren oder ihre Erfahrungen mit der Einbürgerung weiter geben wollen.

Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang eine Erfahrung einer Anwesenden bleiben, die beim Einbürgerungsgespräch ihres Mannes dabei war. Ihm wurde tatsächlich die Frage gestellt, ob er «ins Puff» gehe - mit der Entschuldigung an die anwesende Ehefrau, man müsse diese Frage halt jetzt stellen, dies sei bei ihnen so vorgegeben.

Digitalisierung der Arbeitswelt
Im zweiten Teil ihres Referats ging Patrizia Mordini auf das Thema Digitalisierung der Arbeitswelt ein, stellte die neue Broschüre von syndicom vor und beschrieb den Prozess von syndicom zu diesem Thema bis zum Kongress. Auch die Auswirkungen der Digitalisierung auf MigrantInnen sollen besprochen werden. Eine Herausforderung sind beispielsweise der Schutz der MigrantInnen auch in Subunternehmungen ohne GAV, wo häufig MigrantInnen angestellt werden.

Wahlen: Co-Präsidium mit Fatima Lee und Augustin Mukamba

Im Anschluss widmeten sich die Teilnehmenden in zwei Workshops vertieft den Themen Einbürgerung resp. Digitalisierung. Die IG Migration wird im Anschluss an diese MigrantInnen-Konferenz die Themen weiterverfolgen und zuhanden des syndicom Kongresses 2017 ihre Vorschläge und Anträge entwickeln.

 

 

 

Nach dem Workshop Co-Präsidium fanden die Wahlen für die nächste Kongresslegislatur statt. Für das Co-Präsidium wurden von der IG Migration Fatima Lee und Augustin Mukamba empfohlen, sie wurden einstimmig gewählt.

Text: Patrizia Mordini, Mahir Üzmez

Bilder: František Matouš

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